SPOTLIGHT Business
Value-Based Healthcare in der Reproduktionsmedizin
Versorgungsqualität maximieren und Kosten minimieren, …
das ist die Idee hinter Value-Based Healthcare (VBHC; in etwa: „nutzenorientierte Gesundheitsversorgung“). Dabei steht der Patient im Mittelpunkt einer jeden Maßnahme. Das Konzept wurde vom US-amerikanischen Ökonom und Harvard-Professor Michael Porter vor rund 15 Jahren entwickelt und hat die Nutzenoptimierung („Value“) als erklärtes Ziel. Der Value wird definiert durch das Verhältnis von Behandlungsergebnissen zu den dafür benötigten finanziellen Ressourcen.1
Dabei ist der strategische Ansatz, Behandlungserfolge nicht nur einmalig am Ende der Behandlung zu messen, sondern den gesamten Prozess während und nach der Behandlung anhand mehrerer Outcome-Parameter zu verfolgen. Die Ergebnisqualität wird mit patientenrelevanten Outcomes gemessen (z.B.: Überleben, Schmerzfreiheit, Teilhabe am täglichen Leben und Lebensqualität). Dies ermöglicht, die Therapie optimal für den einzelnen Patienten zu gestalten, und Fakten über die langfristige Ergebnisqualität zu sammeln. Der höchste Nutzen wird durch die besten Behandlungsergebnisse bei gleichen oder niedrigeren Kosten erreicht.
In Deutschland gibt es bereits mehrere erfolgreich umgesetzte Beispiele für VBHC, wie z.B. das der Martini-Klinik Hamburg. In wenigen Jahren hat sich die Martini-Klinik zu einem der weltweit größten Zentren für Prostatakrebs entwickelt. Dabei war die zentrale Innovation die systematische Erfassung von Patient-Reported-Outcome-Measures (PROMs). Auch die Reproduktionsmedizin kann von dem Ansatz profitieren, die Behandlungsprozesse systematisch an den Bedürfnissen und Werten der Patientinnen auszurichten.
Im ersten Teil unserer neuen Reihe zu VBHC in der Reproduktionsmedizin haben wir in einem Interview mit Dr. Anna van Poucke, Global Head of Healthcare (KPMG International) aus erster Hand Einblicke bekommen, wie eine Implementation aussehen kann. Dr. Anna van Poucke ist seit mehr als 30 Jahren im Healthcare-Sektor tätig. Ihr Schwerpunkt liegt in der Planung und Umsetzung von Strategien im Gesundheitswesen sowie in der Qualitätsoptimierung für Patienten, Kliniken und u.a. Kinderwunschzentren. Zusammen mit Ferring hat sie 2015 in den Niederlanden begonnen, den VBHC-Ansatz in der Reproduktionsmedizin umzusetzen.
Ferring: Warum eignet sich die Reproduktionsmedizin für den Einsatz von VBHC?
Dr. van Poucke: VBHC ist von der Idee her sehr simpel, aber in der Ausführung kompliziert. Das Gute an der Reproduktionsmedizin ist, dass sie eine sehr fokussierte Gruppe von Patientinnen beinhaltet, und die Outcomes sehr klar und messbar sind. Wie zum Beispiel die Anzahl und Dauer der vorgenommenen Interventionen und Behandlungen, die Anzahl der Schwangerschaften und natürlich auch die Zufriedenheit der Patientinnen mit dem gesamten Prozess – oder die Akzeptanz eines nicht erfüllten Kinderwunsches. In dieser Hinsicht ist VBHC in der Reproduktionsmedizin einfacher anzuwenden als zum Beispiel in der Onkologie, bei der man noch zusätzliche Diskussionen zu den Effekten des (Tumor-)Stagings und Komplikationsstufen hat.
Ferring: Was sind die Herausforderungen vor denen Zentren und Patientinnen in der Reproduktionsmedizin stehen?
Dr. van Poucke: In der Reproduktionsmedizin gibt es eine Vielzahl von Herausforderungen und Spannungen. Eine der größten ist die Finanzierungsfrage: Wie viel können und wollen wir investieren? Das ist in den meisten Ländern eine sehr politische Diskussion: Wie viele Behandlungen werden erstattet? Wer erhält diese Behandlungen (Alleinerziehende, Gender usw.)? Aber auch medizinisch steigen die Herausforderungen: Frauen mit Kinderwunsch werden zunehmend älter und auch der Lebensstil verändert sich und hat einen immensen Einfluss auf die Fähigkeit, schwanger zu werden.
Ferring: Wie kann VBHC dabei helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen?
Dr. van Poucke: Ferring hat in den Niederlanden 2015 begonnen, für unterschiedliche Therapiebereiche VBHC-Programme zu entwickeln. Der Fokus lag dabei in der Reproduktionsmedizin. Ferring hat 2017 in den Niederlanden ein neues Medikament auf den Markt gebracht, welches eine individuellere Behandlung ermöglichte. Ferring hat die Einführung des Medikaments sehr erfolgreich gestaltet. Dies gelang mit dem VBHC-Ansatz, der nicht nur darauf beruht optimierte Medikamente bereitzustellen, sondern sich auch auf das Behandlungsteam, die Patientinnen und Familien konzentriert, um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen.
Ferring: Erzählen Sie uns mehr zum Ferring-Ansatz; wie ist man vorgegangen?
Dr. van Poucke: Wir hatten im Ferring-Projekt das große gewagte Ziel, eine innovative und wirkungsvolle Lösung anzubieten, die das Health Outcome, die Chance auf ein Baby, erhöht. Im ersten Schritt haben wir parallel zu den Gesprächen in einer Metaanalyse die einflussreichsten Faktoren für einen Schwangerschaftserfolg analysiert (z. B. Alkoholkonsum, Rauchen, BMI). Genau das ist das Wichtige an VBHC, dass man nicht nur über die Outcomes nachdenkt, sondern auch über Faktoren, die einem beim Erreichen der Outcomes im Wege stehen und man diese mit Maßnahmen beseitigt.
Im letzten Schritt haben wir dann ein Lifestyle-Healthcare-Programm entwickelt [Anmerkung der Redaktion: MyFertiCoach], dass ein „Personal Coaching“ für einen gesünderen Lebensstil der Kinderwunschpaare ermöglicht. In der App erhalten die Patientinnen ein Dashboard, das die Basis für ihr Coaching darstellt. Der Arzt kann parallel zu jeder Zeit aktiv das Dashboard mitverfolgen. Das Healthcare-Programm enthält verschiedene Lifestyle-Module: Gesundes Gewicht, Gesunde Ernährung, Gesundes Training, Raucherentwöhnung, Verzicht auf Alkohol und Drogen sowie Achtsamkeit. Ziel ist es, optimale Voraussetzungen zu schaffen, um die Kinderwunschbehandlung zu unterstützen und schwanger zu werden.
Die behandelnden Ärzte empfahlen die App zusätzlich zur Medikation und achteten darauf, dass das Programm und die medikamentöse Behandlung so effektiv wie möglich eingesetzt wurden.
Als Ergebnis konnten wir eine Reduktion in der Anzahl der Behandlungen erreichen, die Patientenzufriedenheit steigern und in der Summe Kosten sparen.2
Ferring: Wie können deutsche Zentren von diesen Erfahrungen profitieren?
Dr. van Poucke: Man muss sich bewusst machen, dass das Geld in der Gesundheitsversorgung nur einmal ausgegeben werden kann. Deshalb sollten die Outcomes transparent und klar definiert sein. Außerdem sollte man gewillt sein, sich auch mit anderen Ansätzen zu vergleichen, um sich stetig verbessern zu können.
Für den Anfang ist es empfehlenswert, sich entweder auf Aspekte zu konzentrieren deren Outcomes leicht messbar sind, oder mit Indikationen anzufangen für welche bereits Indikatoren etabliert wurden oder andere Länder Vorarbeit geleistet haben.
Man muss das Rad also nicht neu erfinden und kann sehr gut von den internationalen Fachkreisen lernen.
Ferring: Vielen Dank Frau Dr. van Poucke für dieses Interview.
Referenzen:
- Porter, ME. What Is Value in Health Care? N Engl J Med 2010;363:2477-81
- Steegers-Theunissen, R et al., Pre-Conception Interventions or Subfertile Couples Undergoing Assisted Reproductive Technology Treatment: Modeling Analysis, JMIR MHEALTH and UHEALTH 2020; 8(11):e19570